Seit 2018 präsentieren wir im Oktogon, der Kunsthalle der Hochschule für Bildende Künste Dresden, Ausstellungen zu Fragen des Existentiellen als Thema und im Kontext der Kunstproduktion. Studierende, Meisterschüler:innen, Absolvent:innen, Lehrende sowie Gäste sind eingeladen, einen Beitrag zu den jeweiligen Themen zu entwickeln oder eine vorhandene Arbeit vorzuschlagen.
Die Ausstellungen dieser Reihe gleichen multiperspektivischen Assoziationsräumen, die sich einer eindeutigen Narration entziehen. Jede der ausgewählten Arbeiten interpretiert das Thema auf eigene Weise und fügt ihm so eine weitere Fassette hinzu.
Das Publikum ist dazu aufgefordert, sich dieser Mehrdeutigkeit auszusetzen, sich treiben zu lassen und dabei vielleicht sogar die Orientierung zu verlieren, sich dem Unklaren, dem auf den ersten Blick nicht Verständlichen zu öffnen. Insofern spielt jede dieser Ausstellung mit einer Erwartung und deren Enttäuschung, aber auch mit dem Gewinn der uns zuteil wird, wenn wir uns von den Erwartungen lösen.
Als vor etwas mehr als einem Jahr die Frage an uns herangetragen wurde, wie sich denn die Hochschule am Jubiläumsjahr anlässlich des 250. Geburtstages von Caspar David Friedrich beteiligen würde, stellte sich die Frage, was eine Kunsthochschule, die sich der Ausbildung der jüngsten Künstlergeneration widmet, mit dem 250. Jubiläum dieses Hauptvertreters der Deutschen Romantik zu tun habe.
Friedrichs Verhältnis zur damaligen Akademie war bekanntermaßen eher problematisch. Obwohl schon lange in Dresden ansässig und von einigen Vertretern der Professorenschaft durchaus geschätzt, wurde dem Maler die lang ersehnte Professur für Landschaftsmalerei verwehrt, die neben der Reputation auch die monetäre Absicherung seiner Existenz bedeutet hätte. Trotz Führsprechern und Briefen an den König wurde er am 17. Januar 1824 lediglich zum außerordentlichen Professor berufen.
Seine Werke mit ihren deutungsoffenen, pantheistisch aufgeladenen Landschaften erschienen dem damaligen Publikum wohl unverständlich, ja sogar altmodisch.
Heute erzielen seine Ausstellungen Besucherrekorde und es wird ihm eine nahezu hysterische Bewunderung zuteil.
Bei genauerer Betrachtung erscheinen Friedrichs Bilderfindungen mit ihren strengen Kompositionen, den vereinzelten Vertikalen im sich horizontal ausdehnenden Bildraum, mit den Nebeln und collagierten Landschaften, deren Motive auf intensiven Naturstudien beruhen, als ideale Projektionsflächen. Die Werke könnten als Vorgriff auf die Abstraktion, wie auf Fotografie und Kino gelesen werden und sind für viele zeitgenössische Künstler eine wesentlich Quelle beim Nachdenken über Bilder.
Darüber hinaus kann die Romantik als geistige Strömung um 1800 und in Abgrenzung zur Aufklärung als eine Art Blaupause gesehen werden, in der das Neue, das erstmalig Gedachte als eigene Qualität zum Tragen kommt.
Vom „Monismus der Wahrheit“, den die Klassiker als Reibungsfläche und Korrektiv nutzen konnten, wandten sich die Romantiker ab und beheimateten sich im Sowohl-als-auch.
Die Hinwendung zum nicht Fassbaren eröffnete den Sinn für Unschärfen, für das Unheimliche, wie das Poetische. Die Bedeutung der in der Romantik erstmalig aufkommenden Theorien des Fragmentarischen, die weit über die Ruine als Architekturfragment hinausreichen, ebenen den Weg zur Collage und Abstraktion.
„Ohne (die) Theorien zur Arabeske würde das Ausgreifende und Überbordende der nicht mehr gattungsgebundenen Werke (...) “ vielleicht nicht existieren. Ohne die romantische Vorstellung von Kunst als Religion, gäbe es keine der zahlreichen Ismen des 20. Jahrhunderts, „die nicht weniger als das Ganze und nicht mehr als die Zukunft“ in sich zu vereinen suchen. Der Vorstellung von Kunst als einem transzendentalen Raum - eines der Denkmodelle der romantischen Ästhetik - ist die Vorstellung von Intensität und Absolutheit eingeschrieben, verbunden mit einer Ernsthaftigkeit und einem Sendungsbewusstsein, das besagt: „Hier stehe ich und kann nicht anders.“
Und nicht selten melden sich auch jene Stimmen des Romantischen, denen Berthold Brecht sein „Glotzt nicht so romantisch.“ entgegensetzte, wohl wissend, was sich aus den Träumen von deutschen Wäldern und Wohnzimmern, wie dem Mondlicht über nebelverhangenen Wiesen zusammenbrauen kann. Romantik im ursprünglichen Sinne ist das sicher nicht. War diese Strömung doch, bevor sie im bürgerlichen Biedermeier ins Stocken geriet, von jenem frischen Wind getragen, der die Sinne weiten und Verkrustungen lösen und der ein mögliches Chaos wider die falsche Ordnung erschaffen sollte.
Und noch ein Aspekt wäre dem zuzufügen, der erstmalig in der Romantik in den Blick gerät: Es ist das Empfinden und Thematisieren von Einsamkeit und das Gefühl des Unbehaustseins.
In den Werken von Friedrich finden sich einige der genannten Aspekte wieder.
Ein weiterer Grund für uns, nach der Relevanz von Friedrichs Werk für die zeitgenössische Kunst zu fragen.
Ausgangspunkte für die Ausstellung sind das Gemälde „Der Wanderer über dem Nebelmeer“ (um 1818), sowie ein Text des ungarischen Essayisten und Kunsttheoretikers László F. Földényi „Der Maler und der Wanderer. Caspar David Friedrichs Urkino“ (2021).
Földényi widmet sich ausführlich der zentralen Bildfigur, die uns den Rücken zuwendet. Er denkt über das Gesicht dieses Wanderers nach, das für uns ebenso unsichtbar ist, wie das, was der Wanderer sieht, wenn er seinen Blick auf den Nebel richtet.
"Schließe dein leibliches Auge, damit du mit dem geistigen Auge zuerst siehest dein Bild. Dann fördere zutage, was du im Dunkeln gesehen, dass es zurückwirke auf andere von außen nach innen.", schreibt Caspar David Friedrich.
Insofern handelt die Ausstellung von Caspar David Friedrich, ohne seine Werke zu zeigen und sie handelt auch nur indirekt von Gesichtern, denn das Gesicht ist der Ort des Sehens, dort wo die Augen ihren Platz haben. Das Gesicht des Wanderers handelt vom Sehen,
um äußere wie innere Bilder. Und es geht um das Nicht-Sehen, das Verdeckte, Unscharfe, sowie um jene Formen der Erkenntnis, die sich durch Poesie und bildnerische Erfindungen vermitteln.
Neben dem Sehen spielt das Wandern, also der Bewegung durch ein Gebiet oder durch Räume - physische wie geistige – eine Rolle. Und es geht um die Orientierung wie um die Orientierungslosigkeit auf diesen Wegen.
Wir sehen Apparate des Wanderns: Karten und Wanderstäbe, Handläufe und Geländer, die einen Absturz verhindern. Es geht um Wege durch Landschaften und jene Spuren, die Wanderer hinterlassen. Und natürlich handelt die Ausstellung von der Landschaft selbst, der Landschaft als existentiellem Erlebnisraum; dem Wetter, den Wäldern, Steinen und Sternen, den Architekturen und Gehäusen, die der Beobachtung dienen und den Behausungen mit ihren Accessoires. Und sie handelt von uns, den Menschen, die die Landschaft sehend und wandernd erfahren, die ihr ausgeliefert sind, zum Teil der Landschaft werden oder sie in Besitz nehmen und umgestalten.
Vor allem handelt die Ausstellung mit ihren 54 Positionen von Bildern, sowie den Versuchen, etwas im Bild zu fassen, das sich dem Zugriff immer wieder entzieht. Und nicht zuletzt geht es um Bilder in Bewegung: um das Kino.
Als Erweiterung der Ausstellung erscheint im Spätherbst eine Edition mit Texten und Beiträgen zur Landschaft.
© Susanne Greinke, Kuratorin der HfBK Dresden (Auszug aus der Eröffnungsrede)