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Your Selfie is Iconic!

Es gibt kein Bild, das uns mehr fesselt, als einen anderen Menschen nackt zu sehen. Der Anblick nimmt einen in seiner Vieldeutigkeit gleichermaßen gefangen, ist zugleich erregend, elektrisierend und unwiderstehlich.

Es scheint vertraut und dennoch auch verboten. Den eigenen Körper zu betrachten, ist völlig normal, wenn auch oft kritisch. Aber einen anderen zu sehen, fühlt sich immer so an, als ob man über ein Geheimnis stolpert. Nackte Menschen, festgehalten in der Fotografie, machen sich längst frei von aufdringlicher Erotik und offenbaren das einfache Menschsein. In der Geschichte der Nacktfotografie sind die Abbildungen dann entweder die ehrlichste oder die am meisten instrumentalisierte Darstellung – oder manchmal beides.

Das Projekt „Your Selfie is Iconic!” wurde 2022 von der Dresdner bildenden Künstlerin Hannah Doepke und der Berliner Kommunikationsdesignerin Yulia Ostheimer ins Leben gerufen. Im Mittelpunkt stehen FLINTA* - stellvertretend für Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, transgeschlechtliche und agender Personen. Der angehängte Asterisk dient dabei als Platzhalter für alle Personen, die sich in keinem der Buchstaben wiederfinden, aber dennoch aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität von Marginalisierung betroffen sind. Es ist gerade diese Randposition, die diese Personen oft daran hindert, autonom über den eigenen Körper zu bestimmen und eine gesunde Beziehung zu sich selbst und ihrem Körper zu leben.

Ein open call lud alle interessierten Personen ein, Selfie-Nacktbilder, die in Momenten der Selbsterkundung von ihnen persönlich aufgenommen wurden, an die beiden Organisatorinnen zu senden. Der Kunsttheoretiker Wolfgang Ullrich schreibt in seinem Buch Selfies: „Wer ein Selfie macht, macht sich selbst zum Bild“.1 Die Inszenierung des Bildes obliegt der dargestellten Person. Doch anders als die meisten Selfies, fanden die eingesandten Bilder keine Verbreitung in den sozialen Medien. Stattdessen wurden sie in verschiedenen Ausstellungen in einer Installation präsentiert. Ein Smartphone, integriert in einer Bettdecken-Skulptur, erlaubte die Bilder anzuschauen. Um die Bildersammlung zu betrachten, musste das Publikum diese Skulptur berühren, nutzen, sich in Pose bringen. Das wiederum erweckte den Eindruck, dass das Publikum selbst auch Selfies von sich kreierte.

Parallel zu den Ausstellungen sind  handgebundene Fotobände in einer Auflage von 20 Stück entstanden, die insgesamt 120 Bilder der Sammlung beinhalten. Eines dieser Exemplare befindet sich nun bei uns und kann vor Ort angeschaut werden.

Weitere Information zum gesamten Projekt findet man hier: yourselfieisiconic.cargo.site


1 Ullrich, Wolfgang: Selfies. Berlin: Verlag Klaus Wagenbach, 2019, S. 6