Der vorliegende Band folgt Barlach auf seinen künstlerischen Holzwegen und nimmt die Entstehung seiner größeren Holzarbeiten näher in den Blick. Barlach selbst verstand sich als Holzbildhauer.2 Aus Anlass seines 150. Geburtstages am 2. Januar 2020 hatte das Ernst Barlach Haus – Stiftung Hermann F. Reemtsma in Hamburg von den 85 erhaltenen Werken, deren Standort bis dato noch bekannt war, 72 neu fotografisch dokumentiert und in dieser Publikation vereinigt. 29 von ihnen befinden sich auch heute noch in der Sammlung im Hamburger Ernst Barlach Haus.
Das vertrauteste Leitmotiv in Barlachs Werk sind Mittellose und Unbehauste, Versehrte, Bettelnde, Hadernde und Geächtete - diese an den Rand der Gesellschaft Gestellten rückte er würdigend ins Zentrum seiner Kunst. Schon früh machte sich diese nonkonformistische Haltung zur künstlerischen Arbeit bemerkbar. Als Meisterschüler an der Dresdner Kunstakademie präsentierte er 1894 als Abschlussarbeit „Krautpflückerin“, „ein Bauernmädel, das sich bückt, um Gras aufzuraufen, zeigt einen faltenlosen Rock über einem mächtigen Hintern“, wie er seinem Freund Friedrich Düsel (1869–1945) berichtete.3 Damit rückte ein Körperteil ins Zentrum der Aufmerksamkeit, dem die klassische Bildhauerei bislang wenig Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Kategorien des Randständigen, Abseitigen und Ungehörigen wurden auf eigensinnige Weise positiv besetzt. Die Entscheidung für das niedere Material „Holz“ schien dabei die folgerichtige Konsequenz.
Interessanter Weise findet sich keine Festlegung auf bestimmte oder bevorzugte Holzarten in Barlachs Werk. Zeit seines Lebens blieb er offen und experimentierfreudig. Auch erwarb er seine Kenntnisse als Holzbildhauer erst nach Abschluss seiner Ausbildung an der Dresdner Kunstakademie. Jedem seiner Hölzer ließ er ein Tonmodell vorausgehen, das zunächst die Grundlage für ein Werkmodell in Gips bildete. Die Übertragung in Holz erfolgte alsbald. Die Wirkkraft seiner Figuren wurde verstärkt durch einen getönten Überzug, wobei auch hier die Auswahl von Wachsen bis hin zu opakem Anstrichen seine experimentierfreudige Anwendung der Materialen widerspiegelt.
Im Rahmen des 1. Studienjahrs der Theaterplastik der HfBK sind einzelne Figuren nach Barlachs Zyklus „Der Fries der Lauschenden“ entstanden in Lindenholz und noch bis zum 25 April 2025 in der Bibliothek während der Öffnungszeiten zu sehen. Die Arbeiten sind von Anne Knaus, Josefine Jüttner, Lara Heinzmann, Hannah Kraft, Annabell Wellhöfer und Frieda Kirch.
1 Ernst Barlach : Die Briefe. Kritische Ausgabe in vier Bänden, hrsg. Von Holger Helbig, Karoline Lemke, Paul Onasch und Henri Seel. Berlin 2019, Bd. 4, Nr. 1734 (6. Januar 1935), S. 12
2 Ebd., Bd. 1 Nr. 385 (an Reinhard Piper, 29. August 1914), S. 592
3 Ebd., Bd.1, Nr. 95 (1. Januar 1895), S. 232